Into the Mighty Forest oder Black Metal und der Wald – Eine (un)heilige Allianz Part I

Into the Mighty Forest Part I

Prolog

Wie leite ich das Thema am besten ein? Der Wald… Unendliche Weiten… Der Baum… Achse des Transzendenten… Brücke zwischen Leben und Tod… Ach Bullshit! Erstmal ’n Bier aufgemacht und Behemoth „And the Forests Dream Eternally“ aufgelegt. Ich will mit diesen Auszügen eine weitaus ausführlichere Abhandlung meinerseits über die Verbindung von Black Metal und Wald aufs Wesentliche straffen und für den geneigten, zeitlich gestressten Leser schmackhaft machen. Mein Ansatz dabei ist weniger akademisch, sondern eher intuitiv, erlebnisbetont. Denn genauso wenig, wie man das Wesen eines Waldes durch Buchwissen allein ergründen kann, spricht auch die Musik in erster Linie das innere, emotionale Seelenbefinden statt der analytischen Ratio an. Da es hier also um Black Metal, Wald und das Erleben dieser Verbindung geht, und ich allerdings beim Schreiben in meinem Zimmer hocke, versuche ich eine gewisse Atmosphäre zu reproduzieren, indem ich für mich wichtige Alben zu passendem Kontext aus dem Plattenschrank krame, auflege und dabei das ein oder andere Bierchen zische. Kaffee früh am Morgen tut’s auch, wenn kein Bockbier da ist…

Dass Wälder ein beliebtes Motiv in eben jenem Metal-Genre sind, ist wohl nichts Neues und wurde speziell mit der norwegischen „zweiten Welle“ auch visuell vordergründig umgesetzt (wobei oftmals die frühen Bands Osteuropas vergessen werden). Eben diese immanent dunkle Naturmystik, speziell im Black Metal der 90er Jahre, hatte mich schon damals als Jugendlicher sofort gepackt. Die Kombination des visuell Verschrobenen und der rohen Musik (z. B. bei „Through Chasm, Caves and Titan Woods“ oder „Under a Funeral Moon“ – allgemein das Posieren geschminkter Vollpfosten in dunklen Wäldern; ich zähle mich selber auch zu solchen) erschuf eine mir bis dato unbekannte Magie. Und wer schon mal winters im Fenn gepennt oder bei einer nächtlichen Waldwanderung mit Black Metal im Ohr die nackten Äste, welche sich wie schwarze Todesgriffel ins dunkle Firmament krallen, beobachtet hat, während der kalte Mond hernieder schaut, der weiß, wozu diese Art von Musik gemacht ist. Bevor es aber ans Eingemachte geht, müssen wir in diesem ersten Teil erst ein paar Jahrtausende zurückgehen und etwas natur- und kulturhistorische Vorarbeit leisten, um das Thema an der Wurzel – wie passend! – zu packen. Erwandern wir vor unserem geistigen Auge die Zeit, als Wälder gerade auf dem Vormarsch waren, und lauschen den Klängen von „Alone Walkyng“ von mighty fucking Hades!

Invasion der Wälder

Evolutionsbiologisch und spirituell sind wir Menschen eng mit Wäldern verbunden – als Kinder der Eiszeit haben auch unsere direkten Vorfahren die Rückkehr der Wälder miterlebt. Ein wichtiger Anteil der menschlichen kulturellen Entwicklung – dies sei auch dem Neandertaler zu verdanken – fand in den postglazialen, vom Eispanzer als Gesteinswüsten hinterlassenen und später von der Vegetation und Tieren wieder besiedelten Gebieten der nördlichen Hemisphäre statt. Natürlich wuchsen auch schon unsere weiter zurückliegenden Vorfahren in tropischen Wäldern und Savannen auf, doch ich möchte mich hier speziell auf die jahreszeitlich geprägten, heimischen Breitengrade beschränken. Die unwirtlichen Landschaften während und nach der Eiszeit könnten aus dem feuchten Traum eines jeden Schwarzmetallers stammen: Menschenleere, hügelige, desolate Weiten. Welten aus Eis und unbändiger Naturkraft begegnen uns in klanglicher Form natürlich auch im Black Metal, und während der Hinweis auf Immortal, „Frost“ von Enslaved oder Isvind beinahe plakativ ist, möchte ich an dieser Stelle „…und die Welt ward karg und leer“ von Imperium Dekadenz als passende Untermalung erwähnen. Jene Welt vor etwa 12.000 Jahren war aber nicht leer. Im Gegenteil, das Leben erkämpfte sich recht schnell das Neuland zurück und die ersten Sukzessionsstadien erneut vordringender Baumarten prägten alsbald wieder die nun postglaziale Landmasse. Mit verändertem Klima, dem Abschmelzen der Gletscher und Rückzug des Eises („Of Ice and Movement“ vom eher schwachen „Twilight of the Idols“ – Gorgoroth) stellte sich mit den Wäldern auch die uns heute bekannte Artenausstattung ein. Birke und Hasel, Eibe und Kiefer, Linde und Ulme, Eiche und zuletzt die Buche bevölkerten nach Jahrtausenden wieder die Landschaft. Ein Umfeld, mit welchem sich der Mensch arrangierte, sozialisierte und kulturell verband. Das Leben mit und in der Landschaft erschuf nicht nur eine materiell überlebensnotwendige, sondern auch spirituelle Wechselbeziehung zwischen Mensch und Natur, die wir uns zwar nicht mehr vorstellen, jedoch manchmal erfühlen können. Klingen bei euch manchmal auch archaisch wirkende Resonanzen an, z. B. beim Lauschen alter Satyricon am nächtlichen Feuer im Wald? Gewisse Momente, die man rational nicht erklären kann, wenn sich einem plötzlich die Nackenhaare aufstellen? Natürlich hatten unsere Urahnen keine MP3s, aber vielleicht Tapes, denn die waren ja noch trve, ne? Doch nichts bleibt wie es ist, und wie alles in der Natur, wandelte sich auch die vorgeschichtliche Waldlandschaft, speziell unter dem Einfluss des immer mehr eingreifenden Menschen. Im Laufe der Jahrtausende bis heute wurde der nährende, gleichzeitig mystische wie heilige Wald zu einem Ort des Unbehagens und einem Ausbeutungsobjekt.

Vom Eis ins Feuer

Neben der rein wirtschaftlichen und siedlerisch-expansiven Dimension, welche den größten anthropogenen Waldschwund ab dem Spätmittelalter verursachte, fand schon vorher eine Veränderung der Waldwahrnehmung in der menschlichen Kultur statt. Nebenbei bemerkt, es wird oftmals ausgeblendet, dass der Großteil mitteleuropäischer Wälder erst „vor kurzem“, also ca. vor 400 bis 150 Jahren dem Menschen zum Opfer fiel und danach erst durch die Etablierung geregelter Forstwirtschaft in naturfremde Bestände überführt und künstlich vermehrt wurde. Heute noch von Urwäldern in Europa zu sprechen wäre daher inflationär, aber das ist wieder ein anderes Thema… Beim Gedanken an geheimnisvolle (mitteleuropäische) Wälder kommt mir sofort Bergthrons „Verborgen in den Tiefen der Wälder“ in den Sinn. Tatsächlich versprüht dieses kauzige Werk eben jene Impressionen, wie man sich ein solch verwunschenes, finsteres Baum-Imperium vorstellt. Die kulturhistorische Entwicklung führte irgendwann zu einem (oder mehreren) Paradigmenwechsel(n), wodurch der Wald als abgegrenzter Teil des besiedelten Raumes gesehen wurde. Und in jenem tummelten sich Ausgestoßene, Räuber, Ungläubige und Hexen fernab der schützenden Stadtmauern gottesfürchtiger Gemeinden – eine Parallele, die sich auch im Black Metal wiederfindet.

Die Rolle des einkehrenden Christentums als die sicher größte Zäsur der religiös, mentalen Verbindung zwischen Wald und Mensch in unserem Kulturkreis werde ich im zweiten Teil etwas näher behandeln. Doch meiner Meinung nach fand schon davor eine gewisse „Degenerierung“ statt. Für die antiken Römer z. B. (als relevanteste Kultur, welche die europäische Geschichte in der Hochantike und darüber hinaus beeinflusste) genoss der vom Menschen geschaffene, vom wilden Wald abgerungene Siedlungsraum Priorität gegenüber einer unbewirtschafteten Natur. Bei Marcus T. Cicero (römischer Philosoph und Politiker, 106 bis 43 v. Chr.) klang schon deutlich das biblische Verständnis bzw. die später christlich/abendländische Hybris eines sich Untertanmachens der übrigen Natur durch den „herrschenden“ Menschen an, welches Cicero mit der alleinigen Vernunftbegabung dessen rechtfertigte. Und man könnte den Bogen sicher noch weiterspannen. Eine rein wirtschaftliche Ausbeutungsmentalität als Form dieser Hybris gegenüber der Natur – welche speziell mit der Industrialisierung ein nie gekanntes Ausmaß an technischer Umsetzung erfuhr – hat also ihre Vorläufer schon lange vor dem Einzug des Christentums. Jenes aber perfektionierte diese Einstellung und sorgte im Zusammenhang mit der Expansionslust der christlichen, weißen Europäer dafür, die Waldzerstörung Jahrhunderte später rund um den Globus voranzutreiben. Auf die Rolle der tief in unserem Kulturgut wurzelnden Kräuterfrauen und -kundler, welche eine besondere, spirituelle Beziehung zum Wald hatten, kann ich in dieser Zusammenfassung nicht eingehen, aber gerade sie erlebten im Black Metal eine (natürlich überspitzte) sinistre Glorifizierung, vor allem da sie durch die christliche Gesellschaft als Hexen gebrandmarkt und verfolgt wurden. Was passt da besser, als mit Venoms „Don’t Burn the Witch“ und einem Schwarzbier abzuschließen? Wir lesen uns im zweiten Teil!