Into the Mighty Forest oder Black Metal und der Wald – Eine (un)heilige Allianz Part II

Into the Mighty Forest Part II

Wald und Christentum

Im ersten Teil haben wir uns ein wenig der Rolle gewidmet, welche die Wälder in der menschlichen Kulturgeschichte in Europa bis vor etwa 2000 Jahren spielten. Und je weiter man die Spur der sogenannten Zivilisationen zurückverfolgt, begegnen uns Naturzerstörung, Missbrauch von Tieren oder eben eine patriarchale Priesterkaste, die einen eifersüchtigen Himmelsherrscher ins Zentrum der Verehrung stellt. Da die Etablierung und Expansion des Christentums nicht nur eine weitere, sondern sehr starke Zäsur darstellt, was die spirituell/mentale Verbindung von Wald und Mensch angeht, und das Christentum bekannterweise Staatsfeind Nr. 1 im (Black) Metal ist, will ich diesen Abschnitt etwas profunder angehen. Doch ich will keinem dualistischen Schwarz-Weiß-Denken verfallen (welches auch dem Judäo-Christentum immanent anhaftet und ebenso häufig im Black Metal auftritt) und proklamiere nicht jenen Monotheismus (oder eher Monolatrie) als alleinigen Schuldigen für die einsetzende Degenerierung des menschlichen Naturbezugs. Denn nichts in der Natur und Geschichte ist monokausal. Begeben wir uns also zusammen mit Graupel „Auf alten Wegen…“ durch europäische Wälder der Spätantike.

Schon kurz nach der Etablierung des Christentums als römische Staatsreligion im frühen 4. Jahrhundert fand ein rapider, teilweise gewaltsamer Export des christlichen Gedankenguts statt. Speziell die Stämme der Merowinger und Franken waren zu Beginn dabei behilflich das „heidnische Vakuum“ in Europa nach und nach mit der „frohen“ Botschaft zu füllen – kann ja nicht sein, dass da oben noch nie jemand vom Erlöser gehört hat, ne? Und Paulus hat ja den Missionseifer schon im Ur-Judäo-Christentum begründet. Die Vorläufer Judentum und der arabische Bruder Islam sind meiner Meinung nach ebenfalls keine Naturreligionen – Götzendienst ist per definitionem des monotheistischen Herrschaftsanspruches ausgeschlossen – und stehen hier somit stellvertretend in der Kritik. Allgemein lässt sich sagen, dass dort, wo das Christentum Einzug hielt, auch heilige Haine und andere Orte vergötterter Natur diesem zum Opfer fielen. Karlheinz Deschner z. B. spricht in seiner „Kriminalgeschichte des Christentums, Band II“ davon, dass der „Teufel“ gar nicht damit hinterherkam die heidnischen Altäre in dem Maße wiederaufzurichten, wie sie umgeworfen bzw. zerstört wurden. Dabei spielte auch das sich verbreitende, teils offensiv missionierende Mönchstum eine wichtige Rolle. Allseits bekannt und wohl auch berühmtester Prügelknabe Gottes war der als „Apostel der Deutschen“ bezeichnete Bonifatius (ca. 673-755), welcher als wichtigste biografische Hinterlassenschaft und „heiligsten Akt“ die Donareiche der Sachsen fällte (beim Gedanken an das Kapitel der Christianisierung und der Zurückdrängung der Naturverehrung fällt mir gerade Obtest mit „Prieš audrą“ ein. War eine Empfehlung auf ‘ner Litauen-Tour und überzeugte mich sofort aufgrund des Drumsounds). Doch es gibt noch eine Gemeinsamkeit, welche manchmal sowohl im Black Metal als auch im besagten Mönchstum auftaucht (dass Black Metal eigentlich christlicher ist als viele denken, werde ich in einem anderen Essay mal ergründen). Ich spreche das Motiv des Eremiten und dessen anti-gesellschaftliche Zurückgezogenheit z. B. in die Abgeschiedenheit der Wälder an. Der Wald wurde dabei einerseits als lasterfreier Ort gesehen, um die Nähe Gottes zu finden, andererseits aber auch – und hier ist die bekannteste Geschichte jene des heiligen Antonius – um sich ähnlich Jesu in der Wüste, den Gefahren und Versuchungen im dämonischen Wald zu stellen, welcher von allen möglichen Unholden der vergeistigten Natur bevölkert war. Apropos dämonischer Unhold: Muss nur ich an Arckanum denken? „Kostogher“ wird ja immer so gehypt, ich finde die „Kampen“ aber viel geiler, und diese Scheibe passt an dieser Stelle.

Ob der neue Glaube (Entschuldigung: Ich meine natürlich die Frohe Botschaft – also nimm sie an, oder stirb, du dreckiger Heide, haha…) nun aufoktroyiert oder freiwillig angenommen wurde, die physische Zerstörung, spirituelle Entweihung oder Umwidmung einst heiliger, heidnischer Orte war neben dem religiösen Leitgedanken meist auch immer politisch/strategisch motiviert (doch war Religion nicht von Anfang an ein Komplize von Machtpolitik oder war solche gar selbst?), und zu dieser Strategie gehörte auch die Umdeutung/Verteufelung einstiger Götter und Naturgeister sowie deren Aufenthaltsorte, zu welchen auch die Wälder zählten. Volksglaube ist zwar zäh, doch sukzessiv schwand der weit verbreitete Baumkult – welcher als allgemeingültiges Kulturgut der gesamten Menschheit überall auf dem Globus verbreitet war (oder reliktisch noch ist). Das einziehende Christentum musste quasi erst die alten Wälder überwinden und teilweise vernichten, um auch in die Herzen der Menschen (wenn auch vielerorts widerwillig) einzuziehen. Wundert es da einen, dass man im Black Metal den Wald so oft anführt, um sich dem christlichen Einfluss zu verwehren oder im sylvanischen Schutzmantel Rachepläne zu schmieden? Doch auch darüber hinaus (ganz profan und pragmatisch betrachtet), mit dem Anstieg der Bevölkerung und fortschreitenden technischen Möglichkeiten der Urbarmachung wilder Landschaft, drängte der Mensch des christlichen Mittelalters und der Neuzeit die Wälder zurück, ja erreichte ein neues Ausmaß an Ausbeutung.

Das religiöse Motiv rückte aber spätestens mit dem mechanistisch, reduktionistischen Weltbild der Aufklärung in den Hintergrund. Und auch klimatische Veränderungen, gesellschaftspolitische Umstürze, Armut oder Epidemien (welche damals noch den Namen verdienten), Faktoren also, die den menschlichen Einfluss auf die Umwelt beeinträchtigten oder verstärkten, gingen oftmals mit einem Vordringen bzw. Rückzug von Waldgesellschaften einher. Bekanntestes und im Black Metal am meisten glorifiziertes Ereignis ist natürlich die Pest im 14. Jahrhundert (unzählige Beispiele, ich empfehle aber an dieser Stelle die „Dauðafærð“ der schwedischen Pest) oder der meist in seiner Verelendung nahezu einzigartige 30-jährige Krieg und die Verwüstung ganzer Siedlungsgebiete.

Der Wald – Hort der Geister und Dämonen, Unholde und Ausgestoßenen

Was bisher angedeutet wurde, ist die Betrachtung des Waldes als Refugium für alte, vorchristliche Naturwesen und mythische Figuren und als heiliger Ort der Götter bzw. für riesische/chaotische Kräfte. Aus Naturgeistern wurden mit Einfluss des Christentums allerdings unheilige bis böse Entitäten. Ein Dämon (vom griechischen Daimon abgeleitet) bezeichnete früher auf neutrale Weise ein Geistwesen, eine oft ambivalente ätherische Entität, welche im christlichen Deutungskatalog verbrämt, verballhornt und als Teufel, Dämon usw. subsumiert wurde. Das wird diesen außerweltlichen Kreaturen nicht gerecht, da sie ihren Ursprung teilweise im steinzeitlichen Animismus und späteren Pantheismus haben, und erst mit dem Monopolanspruch einer dualistischen Glaubensvorstellung in eine einseitig negative Ecke gedrängt werden konnten. Und dort, wo der „zivilisatorische“ Einfluss des Menschen am wenigsten hinreichte, fanden diese Gestalten ihre verbliebenen Rückzugsräume. Und neben unzugänglichen Gebirgen, verschlingenden Mooren oder den Tiefen von Seen und Sümpfen waren und sind dies natürlich auch die Wälder. Solche Orte waren besonders geeignet, um verdrängte Naturwesen im eigenen Seelenspiegel zu schauen oder mit ihnen in übersinnlichem Kontakt zu treten.

Unsere prähistorischen Vorfahren und einige noch heute lebende Naturvölker praktizier(t)en schamanische Reisen und Stammesriten, welche meist unter freiem Himmel, an speziellen Kraftorten und ohne eingrenzende, massive Mauern wie in späteren Kirchen, stattfanden. Das können (und sind) bestimmte Bäume oder Gewässer gewesen sein, ja ganze Gebirge und Wälder. Solche heiligen Haine konnten z. B. dort am längsten bewahrt werden, wo das Christentum seine gierigen Finger erst spät ausstrecken konnte bzw. ein moderater Kurs gefahren wurde. Noch jüngere Aufzeichnungen über erhaltene heilige Haine in Europa sind beispielsweise für Finnland belegt (1738 nach Protokollen der Bischofs- und Probstgerichte, De Vries 2005) sowie auch im Baltikum zu finden (noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Ingermanland, Estland), welches ja bekanntlich spät christianisiert wurde und wo sich noch heute ein belebtes heidnisches Erbe erhalten hat. Dies zeigt sich vor Allem in jahreszyklischen Feiern, welche die Verehrung der Naturrhythmen im Fokus haben und vorrangig an Kraftorten und von Bäumen umgeben stattfinden. Diese heidnischen Relikte zelebrieren jedoch meist lichte Abschnitte des Jahreskreises, wobei man durchaus eine realistische und ambivalente Beziehung zum Thema Tod und Vergehen als Teil der Natur pflegt. Bestes Beispiel dafür ist natürlich das keltische Samhain, der symbolische Tod des Sonnenjahres. Kennt ihr die dänischen Samhain und ihr Demo „The Courier“? Ist zwar kein Black Metal, offeriert aber durchaus morbiden Rumpeldeath in schwarzem Soundgewand der Spätachtziger. Damit sind auch wir mit diesem Teil am Ende. Wir haben jetzt genug Vorarbeit geleistet und werden uns im letzten Teil ein paar Bands und Alben der Black-Metal-Hochphase widmen. Tod und Teufel!