Wie das Leben so spielt: Manchmal macht man an den seltsamsten Orten und unter ganz und gar nicht vorhersehbaren Umständen die interessantesten Bekanntschaften. So bin ich letztes Jahr wegen einer kleinen Auszeit von einer ausladenden, in einem kleinen Dorf stattgefundenen Familienfeier in die Einsamkeit eben jener Ortschaft geflüchtet und betrat aus purer Langeweile sowie auch Neugier (alte Gemäuer ziehen mich stets irgendwie magisch an) die alte evangelische Dorfkirche aus dem 15. Jahrhundert. Und dort machte ich zum ersten Mal Bekanntschaft mit Hermann Löns bzw. mit seinen Büchern, die in einer alten Holzkiste zusammen mit anderen verstaubt im Vorraum der Kirche lagen und für einen kleinen Obolus mitgenommen werden durften. Und diese Bücher, die ganz sicherlich als der niedergeschriebene Nachlass von Hermann Löns angesehen werden dürfen, haben sich mir förmlich wie von alleine aufgezwängt, sind mir mit ihren Titeln, die eine wahrhaftig starke Naturverbundenheit und -liebe zum Ausdruck bringen, buchstablich ins Auge gesprungen. „Im flammenden Morgenrot“ heißt eines der von mir mitgenommenen Bücher, welches hier als hallendes Echo aus einer grüneren Vergangenheit sowie ein Beispiel für die vielen natur- und heimatliebenden Löns-Texte sinnbildlich vorgestellt werden soll.
Die Morgendämmerung ist zerflossen,
Die Sonne über die Wälder loht,
Ich grüße mit großen, frohen Augen
Das flammende, leuchtende Morgenrot.O Morgenrot, so lange Jahre
Bin ich gegangen in schwarzer Nacht,
Mir blühte keine helle Blume,
Mir hat kein Sonnenschein gelacht.Es fiel kein Lichtschein in mein Dunkel,
Kein Stern an meinem Himmel stand,
Mit kalter Seele, totem Herzen,
So ging ich durch das schwarze Land.Die Blumen blühn, die Vögel singen,
So wonnig warm die Sonne lacht,
Du hast mit deiner hohen Liebe
Aufs neue mich zur Welt gebracht.
Da Hermann Löns vielen sicherlich noch gar nicht bekannt ist, macht es zunächst einmal Sinn, sein Leben in wenigen Sätzen kurz zu umreißen, um ein Bild, wenn auch nur ein relativ grobes, von seiner Persönlichkeit, die wegen seiner Trinksucht, seinem ungesunden Verhältnis zu Frauen sowie seiner übertriebenen nationalistischen Einstellung, die später (nach seinem tragischen Tod) teilweise von dem Nationalsozialismus passend zu deren Propaganda adaptiert wurde, scheinbar nicht nur positiver oder nobler Natur war, zu erhalten. Als erstes von 14 Kindern, geboren am 29. August 1866 in Culm bei Bromberg in Westpreußen, hat er sich nach seinen aufgegebenen Studiengängen in Medizin, Mathematik und Naturwissenschaften (als Weichtierkundler) dem Journalismus und der Schriftstellerei verschrieben. Obwohl er ein Stadtmensch war, muss sich Hermann Löns stark zur Natur hingezogen gefühlt haben, wobei ihm der karge Boden der Heide besonders am Herzen lag, was sicherlich mit der aufkommenden Verstädterung zu Beginn des industriellen Massenzeitalters zusammenhing. Wochenlang wohnte er in seiner Jagdhütte im Westenholzer Bruch, von wo aus er regelmäßig auf die Pirsch in die Heide und umliegende Wälder oder ins Moor ging. Basierend auf seinen Naturbeobachtungen verfasste er viele Schriften, Gedichte und Bücher, von denen viele von Tier- und Jagdgeschichten, allgemeinen Natureindrücken sowie Landschaftsschilderungen geprägt sind. Das brachte ihm den Ruf eines Heide-Dichters und Heimatschriftstellers ein. Hermann Löns war aber nicht nur Dichter und Schriftsteller, er war auch ein begnadeter Zeichner und Maler. Einige seiner gelungenen, atmosphärisch anmutenden Bilder können in dem hier vorgestellten Buch bewundert werden.
Die Sonne lodert und leuchtet auf den gelben Birkenwipfeln und in den goldenen Eichenloden; sie gibt der abgefrorenen Wiese Maiengrün und den bleichen Weidenblättern Frühlingsfrische. Wie ein Vogel aus Märchenland schwebt der weiße Bussard dahin, und jubelnd und singend fällt ein Starenflug in den Eichen bei der Hirtenhütte ein.
Dass die Jäger zu Hegern wurden, wird ebenfalls auf die Aktivitäten des passionierten Jägers Hermann Löns zurückgeführt. Seinen Schriften und Werken kann man entnehmen, dass ihm lebende Wildtiere wichtiger waren als eine getötete Jagdbeute. Jäger, Naturschützer und Wanderfreunde verehrten deshalb den frühen Verfechter des Naturschutzes und Wegbereiter des heutigen Umweltschutzes, der sich u. a. auch für die Gründung des ersten deutschen Naturparks 1911 in der Lüneburger Heide einsetzte. Durch sein unentwegtes Handeln zum Wohle der Natur ist er als Jäger, Natur- und Heimatdichter sowie als Naturforscher und -schützer letztendlich zum Mythos geworden. Hermann Löns ist mit nicht mal 50 Jahren als Kriegsfreiwilliger im ersten Weltkrieg am 26. September 1914 an der Front bei Loivre in der Nähe von Reims, Frankreich, gefallen.
Wie man dem hier kurz wiedergegebenen Werdegang von Hermann Löns entnehmen kann, hat er wohl in der freien Natur den Sinn seines eigenen Lebens gefunden, ganz egal was man ihm sonst noch so nachsagen kann. Und das inspiriert und weckt Sehnsüchte, in der heutigen Zeit wieder viel verstärkter als früher, jetzt wo die Auswirkungen der Umweltzerstörung und das Artensterben nicht nur in den Medien präsenter, sondern vor allem auch überall auf der Welt mehr als nur deutlich sichtbar und spürbar sind. Somit ist es mehr als nur notwendig, dass wir Menschen uns wieder auf unsere aller Wurzeln besinnen und einen Schritt zurückgehen, anstatt immer nur nach vorne, ohne Rücksicht auf Verluste, ohne die Zukunft unserer eigenen Kinder vor Augen zu haben. Löns fühlte sich in seiner Zeit bestimmt unverstanden, so wie es heute auch vielen Menschen ergeht, die nur hilflos mitansehen können, wie im Namen des Mammons die wahren Schätze der Welt nach und nach, in jeder Minute, unwiderruflich zerstört werden. Letztendlich muss man sich bitter eingestehen, dass all die Bemühungen von Hermann Löns oder seinen geistigen Nachfolgern wie z. B. Bernhard Grzimek oder Heinz Sielmann gegen die Dummheit der Menschheit, welche aus Gier, Ungerechtigkeit, endlosem Leid und Hunger genährt wird, einfach nicht ankommen können. Effektiver Umweltschutz kann nur in von Menschenhand unberührten Landstrichen (Nur wo gibt es diese noch auf unserer Welt? Die letzten Urwälder werden aktuell mit Kettensägen erschlossen!) und in einer zufriedenen und gesunden Gesellschaft funktionieren. Unsere menschliche Gesellschaft jedoch krankt und artet aus, was man an den sterbenden deutschen Wäldern, welche die Auswirkungen des menschlichen Handelns (Monokulturen, steigende Temperaturen, Wassermangel und Borkenkäfer) nun alle auf einmal zu spüren bekommen, gut beobachten kann. Doch genaugenommen sind Umwelt- und Naturschutz nur von Menschen erdachte Paradoxa, denn in der Natur der Natur gibt es so etwas nicht. Denn wer außer den Menschen ist mit seinem „überlegenen“ Gehirn in der Lage, ganz gezielt und systematisch seine eigene Lebensgrundlage zu zerstören? Das Problem ist aber nicht der Mensch an sich, sondern sein Massenvorkommen. Zu viel von irgendetwas ist niemals gut. Zu viel Mensch erst recht nicht!
Was frag‘ ich nach den Menschen
Und nach der lauten Stadt,
Wenn mich die Bergwaldwildnis,
Die weiße Stille hat.Die Buchenstämme stehen,
So schwarz im weißen Schnee,
Seinen Schlafbaum sucht der Bussard,
Zu Felde zieht das Reh.Der Fuchs bellt unten im Grunde,
Die Eule gibt keine Ruh,
Der Abendwind rührt an den Zweigen,
Der Schnee fällt immerzu.Im Tale funkeln die Lichter,
Was kümmert mich ihr Schein,
Ich stehe oben am Hange,
Und bleibe für mich allein.
Eine aktuelle und sehr schöne Interpretation eines Textes von Hermann Löns wurde erst kürzlich von Alaun in Kooperation mit der deutschen Pagan-Metal-Band Isgalder realisiert. „Der Alte vom Berge“ ist eine winterliche Erzählung über den Überlebenskampf eines Fuchses, in der uns die gnadenlose und unbarmherzige Härte der Natur vor Augen geführt wird. Vielleicht ist es wirklich nur die panische Angst des Menschen vor dieser unnachgiebigen Härte, die mich an eine permanente sowie blinde Flucht nach vorne denken lässt, wie etwa bei einer Herde von Lemmingen. In ihrer Konsequenz lässt diese Flucht uns Stück für Stück immer mehr von unserer aller Mutter, der Natur, entfremden. Solch liebevoll erzählte Naturgeschichten sollten uns deshalb zum Nachdenken und Innehalten bewegen. Aber wer schenkt der Stimme der Natur heutzutage noch Gehör? Es ist eine kleine Minderheit, während die Mehrheit mit dem stetigen Mehren ihres vermeintlich persönlichen Reichtums beschäftigt ist, eines Reichtums, welcher auch nur auf dem natürlichen Reichtum der Natur beruht. Anstatt also dem Irrsinn der menschlichen Welt, von der wir uns als Menschen eigentlich nur durch den Tod lösen können, blind nachzulaufen, sollte man sich lieber die Zeit nehmen, um in der Natur, sofern man diese irgendwo noch vorfinden kann (und ja, falls man all seine Sinne öffnet, lassen sich fast überall noch recht ursprüngliche, wenn auch nur sehr kleine Naturinseln auffinden, selbst in den vielen Städten, wo der Herzschlag der Natur zu spüren ist), nach der Ruhe und dem Frieden des Geistes zu suchen. Dasselbe mag einem auch durch das intensive Lesen bzw. Hören solcher Geschichten gelingen. Schier unglaublich, wie man aus einem derartig minimalistischen Handlungsstrang, wie der Suche eines Fuchses nach etwas Essbarem, eine so spannende Erzählung erstellen kann. Das ist die wahre Kunst von Hermann Löns gewesen. Und das als Provinzprosa oder Kitsch zu bezeichnen ist eine Frechheit, welche nur von solch „überlegenen“ Menschen, die selbst totalitär über der Natur zu stehen meinen, kommen kann. Schließt also die Augen, und lasst euch entführen zu dem Alten vom Berge!