Vielen Dank noch einmal an Euch, Horda und Knoepfchen, dass Ihr Euch für ein kleines Gespräch bereit erklärt habt. Ich hatte mir auf YouTube bereits im Vorfeld ein paar Videos von einigen Eurer Songs angesehen bzw. angehört. Was mir da zu Ohren kam, ist zwar kein Metal (was nicht im Geringsten schlimm ist), es hat mich aber ziemlich beeindruckt. Wenn ich das auf Eurer Band-Webseite richtig gelesen habe, dann seid Ihr eine reine Zweiertruppe, ist das richtig? Oder werdet Ihr noch von anderen Musikern unterstützt?
Richtig, kein Metal und doch kommen wir genau da her. Gerade deshalb bedeutet es uns enorm viel mit Waldtraene auch dort angekommen zu sein. Waldtraene besteht aus Knoepfchen (Gesang, Flöte) und Horda (Gesang, Gitarre), also tatsächlich nur aus zwei Leuten. Wir haben Waldtraene zu zweit gegründet, haben zwischendurch kurzzeitig Gastmusiker gehabt, jedoch ziemlich schnell festgestellt, dass Waldtraene – zumindest vorerst – zu zweit am Besten funktioniert.
Warum hat das bei Euch mit den Gastmusikern nicht geklappt? Stimmte die Harmonie nicht oder waren das – für Euren Geschmack – vielleicht zu viele Instrumente, aus denen sich Waldtraene dann zusammensetzte?
Ursprünglich hatte Waldtraene nicht einmal eine Flöte, bis Knoepfchen sich daran versuchte. Allerdings wollte sie sich eigentlich nur aufs Singen konzentrieren, deshalb waren wir begeistert, als sich ein Bekannter anbot diesen Part zu übernehmen. Die ersten Stücke mit Flöte existierten bereits, so dass ein leichter Einstieg gelang.
Wir stellen uns das Funktionieren einer Band ein wenig anders vor als es oftmals der Fall ist. Es gibt bei uns nicht nur einen Komponisten, sondern jeder trägt seinen Teil zum Ganzen bei, jeder komponiert für sein Instrument und zusammen wird dann daran gefeilt. Leider konnte diesem Anspruch weder der Flötenspieler, noch der zweite Gitarrist gerecht werden. Auch stellte sich schnell heraus, dass man unterschiedliche Ziele verfolgte. Prioritäten wurden falsch gesetzt, so dass wir trotz Anwesenheit der Gastmusiker teilweise allein auf der Bühne stehen mussten. Die Gastmusik war dann mal besoffen oder einfach nicht da. Ich denke, wir haben den Moment für die Entscheidung zu zweit weiter zu ziehen ganz günstig gewählt, denn somit können wir heute noch darüber lachen. Es gab immer mal wieder einen Interessenten. Leider ist es nie zu einer weiteren Zusammenarbeit mit anderen Musikern gekommen, da wir voraussetzen, dass die Leute sich der Thematik genauso verbunden fühlen wie wir und nicht nur ausführende Organe sind. Das Konzept von Waldtraene muss verstanden werden, und es muss eine Gemeinschaft entstehen können, die auch ins Private und Freundschaftliche reicht. Wir sind nach wie vor sehr offen für andere Musiker, die Interesse haben mitzumachen. Wir selbst können uns Waldtraene zum Beispiel sehr gut mit einer Geige vorstellen. Das sollte bisher jedoch noch nicht sein.
Du erwähnst, dass Ihr ursprünglich aus dem Metal-Bereich stammt. Heißt das, Ihr habt vorher eine andere Band gehabt oder für eine andere Truppe gespielt?
Horda hatte ein paar Projekte im Bereich Black/Death Metal, Punk/Deutschrock und Mittelalter in seiner Jugend, das gestaltete sich jedoch eher regional, also keine bekannten Namen. Was wir meinen, wenn wir davon sprechen aus dem Metal zu kommen, ist, dass man uns stets und ständig vor Bühnen, auf Festivals und in Metal Clubs antrifft. Außerdem inspirierte Carved in Stone (das Fantasy/Pagan/Folk-Projekt von dem Mädel von Taunusheim) Horda bezüglich der ersten Texte, welche später für Waldtraene verwendet wurden. Durch unseren privaten Geschmack und die Inspirationen daraus fühlen wir uns als Waldtraene dem Pagan und Black Metal verbunden. Es klingt eben nur irgendwie weicher. Trotzdem sind wir, was unseren musikalischen Geschmack angeht, recht breit gefächert – Hauptsache handgemacht und mit Sinn. Des Öfteren läuft also auch mal anspruchsvolle Mittelaltermusik, ausgewählter Neofolk und Gothic. Horda ist sogar zum Teil mit Metal aufgewachsen. Bei Knoepfchen zu Hause galt „dieser Höllenlärm“ (Zitat von Oma) eher als „unchristlich“. Ihren Ausbruch verdankte sie dem Punkrock, fühlte sich dann aber recht schnell im Metal zu Hause und freut sich nun auch bei Odroerir in dieser Saison als Vertretung aushelfen zu können.
Als ich bei Eurer Interview-Anfrage den Bandnamen Waldtraene las, kam mir irgendwie die folgende Interpretation in den Sinn: Der Wald, oder vielmehr alle Wälder als Verkörperung der Natur, sind traurig über die Art und Weise, wie die Menschen sie behandeln und weinen darüber. Ist das ein wenig zu viel in den Namen hineingedacht? Und – da ich nicht davon ausgehe hier ins Schwarze getroffen zu haben – was hat Euch dazu gebracht Eurer Band diesen Namen zu geben?
Heulende Bäume, jaja (lach). Das kann natürlich eine Interpretation des Namens sein, jedoch war es nicht unser Grundgedanke bei der Namensfindung. Das Wichtige an unserem Bandnamen ist, dass er einen Interpretationsspielraum gewährt, ebenso wie unsere Musik. Viele assoziieren ihn mit dem schändlichen Verhalten der Menschheit gegenüber der Natur, welches sich nicht leugnen lässt. Jedoch ist unser Bandkonzept grundlegend positiv ausgerichtet, also weniger Christenbashing und kaum Tränen über dunkle, vergangene Zeiten. Waldtraene ist grundsätzlich für und nicht gegen etwas. Für uns bedeutet der Name das uralte Wissen. Wissen, welches in unserer Natur, unserer Umwelt und Heimat zwar verborgen liegt, aber nach wie vor beständig ist. Wenn man sich vorstellt, was die nunmehr selten gewordenen, starken und uralten Bäume in ihrem bisherigen Dasein gesehen und erlebt haben, geht man doch mit etwas Ehrfurcht durch die Wälder. Das Wissen, diese Erfahrung liegt tief verborgen in ihnen. Zu selten nehmen wir uns die Zeit um innezuhalten und zu lauschen. Nicht selten tritt aus ihnen ein Tropfen dieses Wissens aus, das Wissen der Alten – in Form einer Träne, als Baumharz. Die Tränen des Waldes – Waldtraene.
Aha. Das Beispiel mit dem Harz der Bäume macht die Bedeutung Eures Bandnamens mehr als deutlich. Somit lag ich wirklich ziemlich daneben und es geht Euch vielmehr darum, dass Ihr das Wissen der Ahnen an die heutige Generation (und auch zukünftige) vermitteln wollt. Ich stimme Euch zu: Wir Menschen haben unter anderem unsere Ehrfurcht verloren – nicht nur vor dem Wald und den alten Baumriesen, sondern allgemein vor der Natur. Was denkt Ihr, was schuld daran ist? Haben wir uns zu weit von unseren Wurzeln entfernt?
Nun ja, wir denken, man kann nur Ehrfurcht vor dem haben, was man kennt und/oder fühlt, und da fängt das Drama schon an. Es gibt die schönsten Geschichten von Besuchern eines Mittelaltermarkts oder Touristen im Harz zu erzählen, die entweder der Meinung sind, dass es früher noch gar kein Holz gab, dass das Spanferkel am Spieß aus Wachs und nicht echt sei (diese Annahme ist ganz klar damit begründet, dass es tropft), oder die auf der Spitze eines Berges Vermutungen anstellen, aus was dieser Berg wohl bestehen könnte… Alles schon erlebt. Die Leute verdummen, und ja, sie entfernen sich zu weit von ihren Wurzeln. Gerade Kinder können kaum noch beGREIFEN, da niemand mit ihnen raus geht, oder weil sie aus Furcht vor weltlichen Gefahren nicht raus gelassen werden. Was sind wir doch früher auf Bäume geklettert ohne uns gleich das Genick zu brechen. Und war der Arm gebrochen, wussten wir, dass wir beim nächsten Mal anders zufassen müssen. Heute fast undenkbar. Könnte man Bäume verklagen, würde man es aufgrund eines Armbruchs heute tun. Wir sind überbehütet und weltfremd. Gleichzeitig reizüberflutet. Man hat kaum die Chance etwas aus sich heraus zu lernen, denn die Theorie wird in der Schule vermittelt und das bleibt oftmals unreflektiert, ohne es ausprobiert zu haben. Nicht zuletzt, weil heute vielen Eltern noch kaum Zeit neben der Arbeit bleibt, und somit die Schule (welche das alles, selbst wenn sie es wollte, gar nicht auffangen könnte) sowie die Medien wie Handy, TV und Internet die einzigen Bildungsmittel sind, welche zusätzlich vorhanden sind. Doch leider kommt die nötige Medienkompetenz nicht von selbst und so werden diverse Medien schlichtweg zur Ablenkung vom realen Leben. Ein hoch auf den, der noch Großeltern hat, die die Enkel mit Geschichten und Erlebtem zu fesseln wissen. Vor Kurzem erst stand eine Horde Kinder wie von Sinnen vor einem Ofen auf einem Keltenmarkt, in dem Brot gebacken wurde – sie hatten so etwas noch nie gesehen, und dass da „Brot raus kommt“, konnten sie sich gar nicht erklären. Brot kennt man eben nur aus dem Supermarkt. Es ist eben einfach da, und somit wird dies oft nicht hinterfragt. Das mal als Versinnbildlichung für viele Dinge, die schlichtweg einfach vergessen werden und somit dem Fortschritt weichen.
Ach ja, diese Geschichten kenne ich auch von diversen Mittelaltermärken. Unechtes, holografisches Feuer und solchen Unsinn. Auch bei der Schule, dem fehlenden beGREIFEN und der Reizüberflutung durch Medien gebe ich Euch Recht. Mich selbst beschäftigt dieses Thema als Vater ziemlich, und ich finde es schwierig hier den richtigen Weg zu finden – vertraue aber einfach auf mein Bauchgefühl. Aber ich will nicht zu weit abschweifen. Lasst uns ein wenig über Eure Inspirationsquellen für Eure Musik reden. Mit Sicherheit hat der Harz noch einiges mehr an Wald zu bieten, als es die Waldhalla-Heimat tut. Ich war persönlich nur mal kurz zu einem Ausflug auf den Brocken dort in der Gegend, doch schon bei diesem Tagesausflug hat mich die waldreiche Region tief beeindruckt. Seid Ihr oft in den Wäldern Eurer Heimat unterwegs und was bedeuten die vielen Sagen der Region für Eure Musik?
Zuletzt leider recht wenig, da uns Arbeit und Auftritte doch sehr einspannen. Aber wir nutzen jeden freien Moment, um mit Bandhund Mascha durch die Wälder zu streifen. Wir sind sogar dran ein kleines YouTube-Projekt ins Leben zu rufen, bei dem wir viele sagenumwobene Orte und Kultplätze besuchen und mittels Erzählungen, Film und Fotografie Sagen und Geschichten neu beleben, um sie nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Sicher wird hierbei das ein oder andere Lied entstehen. Zukünftig könnte daraus ja sogar ein Konzeptalbum über die Sagen des Harzes entstehen.
Fels und Wald bei der Steinkirche in Scharzfeld
Du sprachst vorhin explizit die alten, großen Bäume an. Hier im Sauerland herrscht leider zumeist eine Monokultur von Fichten. Aber es gibt auch noch alte Waldbestände und vereinzelt ein paar der richtig alten Bäume. Stellen diese für Euch eine besondere Quelle der Inspiration dar? Und habt Ihr schon mal den ältesten Baum Eurer Heimat einen Besucht abgestattet?
Der älteste Baum in unserer Region ist die Sachseneiche mit über 850 Jahren. Dieser Ort war lange noch bis in die Neuzeit hinein ein Kultplatz. An solchen Orten herrscht eine bestimmte Energie, die heut noch spürbar ist und somit natürlich inspirierend wirken kann und es für uns auch schon war. Der Harz war ursprünglich Mischwald. Heute findet man hauptsächlich italienische Fichten wegen der Aufforstung. Seit einigen Jahren wird jedoch aktiv daran gearbeitet, den Urzustand wieder herzustellen und auch fast ausgestorbene heimische Tiere wie zum Beispiel den Luchs wieder anzusiedeln.
Also habt Ihr auch ein reiches Angebot an Baum-Monokultur… Das hätte ich nicht gedacht. Schade, aber immerhin ist man ja vielerorts dabei „alte“ Wälder wieder zu beleben. Ihr beschäftigt Euch in Euren Texten allgemein viel mit der Natur, Mythologie und den alten Bräuchen der Germanen und Kelten. Wie kam es dazu, dass es gerade diese Themen sind, die Euch so wichtig erscheinen, dass Ihr sie vertont?
Es ist für uns von großer Bedeutung, dass eben genau das nicht vergessen wird. Wir selbst fühlen uns dem alten Pfad verbunden, und er prägt unser persönliches Leben. Es ist uns wichtig zu wissen, woher wir kommen, die eigenen Wurzeln zu kennen. Gerade durch diese alten Geschichten, die wir zu erzählen wissen, ergeben sich Wertevorstellungen, die uns in heutiger Zeit einfach fehlen. Heute leben die meisten um zu arbeiten – früher arbeiteten sie um zu leben. Es ist kaum Raum für individuelle Entfaltung und keine Zeit, um einfach mal nachzudenken und abzuschalten. Wir leben nicht mehr bewusst, so wie es unserer Ansicht nach einmal war. Wir leben in riesengroßen Völkerherden, die alle in eine Richtung laufen sollen, weil irgendwer irgendwas vorgibt. Und doch kennt einer den anderen nicht, weiß aber über ihn zu urteilen. Wir beleben die Geschichte neu und transportieren sie in die heutige Zeit, um dieser Werteumkehrung entgegenzuwirken, denn von unseren Vorfahren können wir noch heute eine ganze Menge lernen. In unseren Breiten sind dies die Kelten, Germanen und Nordvölker. Von ihnen stammen wir ab – wir tragen ihren Geist in uns und den gilt es nicht zu vergessen.
In der Tat, Arbeit hat heute einen anderen Stellenwert, als es füher der Fall war. Zum Teil mag es gut sein, dass wir nicht mehr zum reinen Überleben arbeiten müssen. Auf der anderen Seite arbeiten wir jedoch auch häufig für die falschen Ziele, wie beispielsweise den Konsum von Dingen, die uns eigentlich nicht weiterbringen (Wer braucht schon ständig das aktuellste Smartphone oder Tablet?) oder eine Karriere, die uns letzten Endes nicht glücklich macht. Jedoch würde ich nicht sagen, dass wir uns weniger individuell entfalten können. Ich empfinde es eher so, dass ein Teil der arbeitenden Bevölkerung da in der Tat sehr eingeschränkt ist und als eine Art neuer Sklave gehalten wird, während sich der andere Teil schon entfalten und auch kreativ sein kann. Wie ist da Eure Erfahrung? Empfindet Ihr die Arbeit auf Eurem Weg eher störend oder als (nicht rein monetär gemeinte) Bereicherung? Das mit dem von Dir angesprochenen Herdentrieb beobachte ich selbst ebenfalls häufig. Und das, obwohl ich aus einer ziemlich ländlichen Region stamme. Seid Ihr davon überzeugt, dass es den Menschen – insgesamt oder auch nur einzeln – gut tun würde, sich mehr auf die alten Werte zu besinnen? Und was wären das für Werte, die Euch am wichtigsten erscheinen?
Hm… Vielleicht geht es gar nicht direkt um ALTE Werte. Es geht eher um das „auf sich selbst besinnen“, auf sich zu achten, wieder Motivation zu finden. Etwas aus sich selbst heraus zu tun, weil man es will. Und da geht es eben nicht um das „Vermeiden“ anstrengender Sachen, sondern vielmehr um das Schaffen. Und das nicht weil jemand es verlangt, sondern für sich selbst. Das Thema Arbeit ist bei uns recht unterschiedlich. Wir arbeiten beide im pädagogischen Bereich, sind also stets und ständig unter Menschen. Das kann bereichernd sein, jedoch auch manches Mal das komplette Gegenteil. Knoepfchen macht die Arbeit Spaß, und zum Glück gibt es bei uns kaum Einschränkungen, was die Selbstentfaltung anbelangt. Das steht und fällt natürlich mit den Leuten und nicht zuletzt mit einem selbst – dem Umgang mit seinen Mitmenschen und deren Ansichten und natürlich der Empathie. Für Horda ist es doch eher ein „Muss“. Er fühlt sich häufig eingeschränkt in seinem „Freigeist“, was einem manchmal die Kreativität versiegen lässt. Auf der anderen Seite wirken sichtbare Erfolge motivierend in allen Bereichen – und natürlich kann nur mit Geld die Plattensammlung wachsen. Haha…
Um noch mal auf die Ursprünge und Wurzeln zurückzukommen: Wenn ich mir die Geschichte der Menschheit insgesamt betrachte, frage ich mich öfter, ob wir heute „dümmer“ oder „klüger“ als früher sind. Wir zerstören die Umwelt in einem nie dagewesenen Ausmaß – so etwas wie ein tatsächliches Bewusstsein für Naturschutz gab es meines Wissens in der Geschichte allerdings auch noch nicht. Die Wikinger waren ein naturverbundenes Volk – trotzdem haben sie Island quasi „über Nacht“ in Schutt und Asche gelegt, was den Waldreichtum der Insel angeht. Wie seht Ihr das Thema? Sind wir heute wirklich weiter weg vom Ursprung oder vielleicht sogar wieder auf dem Weg dorthin?
Wir haben uns schon oft die Frage gestellt, ob es nicht manchmal klüger wäre dumm zu sein, dann würden wir uns über sowas vermutlich keine Gedanken machen, was manchen Frust verhindern würde. Wir sind nicht dümmer oder klüger geworden, sondern einfach anders und aktuell wieder am Umdenken – in welche Richtung es anschließend geht, also in Richtung Ursprung oder weiter davon weg, können wir selbst nicht abschätzen. Dadurch, dass wir den Segen – oder auch Fluch, wenn man so will – haben, die Umwelt an uns anpassen zu können, müssen wir uns durch die von uns geschaffene Umwelt auch wieder weiterentwickeln, um in dieser wiederum bestehen zu können. Man muss aus seinen Fehlern lernen, und das haben sicher auch die Wikinger erfahren, als weder Wald noch Tier blieb, insofern sie das Holz nicht ganz bewusst für den Schiffsbau nutzten, sondern weil sie die Heimat wegen damaliger Überbevölkerung im Norden sowieso verließen, um sich neu anzusiedeln. Der Nutzen stand damals und steht auch heute noch im Vordergrund. Jedoch hat der Mensch mal mehr darauf geachtet, nur so viel zu nehmen wie er eben braucht, und die Wikinger brauchten zu dieser Zeit einfach viel, um ihre Ziele zu erreichen. Noch frühere Volksgruppen wie beispielsweise Kelten und Germanen hatten natürlich auch keinen „organisierten Naturschutz“, jedoch gab es einen Unterschied zwischen Nutz- und geweihten Wäldern. Dort durfte nicht gejagt und nichts gefällt werden. Rodung gab es erst, als die Römer einfielen.


Jetzt sind wir doch ganz schön vom Thema abgekommen. Aber ich muss gestehen, dass es sehr viel Spaß macht, mit Euch über Natur, Werte und ihre Bedeutung für die heutige Zeit zu quatschen. Trotzdem denke ich, dass unsere Leser noch ein bisschen mehr über Euer musikalisches Schaffen erfahren möchten. Wenn ich mir auf Eurer Internetseite die Neuigkeiten über Euer nächstes Werk durchlese, wird klar, dass es sich dabei – ebenso wie bei seinem Vorgänger „Es wussten einst die Alten“ – um ein Konzeptalbum handelt. Leider habe ich bisher nur vereinzelte Songs von Euch hören können, da wird das nicht so deutlich. Könntet Ihr für einen Unwissenden kurz zusammenfassen, wobei es bei diesen Konzeptalben insgesamt und speziell bei Eurem neuen Album geht?
Bei unserer Konzeptreihe „Es wussten einst die Alten“ geht es um das oben erwähnte „auf sich selbst besinnen“. In seine eigene Seele zu blicken und zu erfahren, wer man ist und wer man war bzw. woher man kommt, mit Hilfe seiner Ahnen. Der Hörer selbst wird in der Reihe zum „Suchenden“, zum Wanderer zwischen den Welten, mit dem Ziel sein Dasein zu erkunden, weil er eine Sehnsucht in sich verspürt, die er sich nicht erklären kann. Für den einen fühlt es sich wie Neugier an, für den anderen vielleicht wie absolute Leere bis hin zur Nutzlosigkeit. Der Hörer soll für sich selbst entscheiden, warum er sich auf diese Suche begeben haben könnte. Für wieder andere stellen die eingebauten Gesprächsparts eben einfach nur eine nette umrahmende Geschichte zur Musik dar. Das obliegt jedem selbst. Im ersten Album des Konzepts trifft der Hörer auf den Dichtergott Bragi, der ihn durch das Album geleitet und ihm Wege aufzeigt. Er erinnert an Vergangenes und legt dar, was der „Suchende“ daraus lernen kann. Im neuen Album, also dem zweiten Teil mit dem Namen „Es wussten einst die Alten II – Unter Wolfes Banner“, findet sich der Hörer nach dem Auszug bei Bragi des Nachts im Wald wieder, während vor ihm seltsame Lichter erscheinen. Sie locken ihn immer tiefer in den Wald, tiefer in sich selbst. Er trifft die Schatten der Vergangenheit, Seelen aus verschiedensten Epochen des Altertums, alle geeint unter dem Wolfsbanner, welches für die Stärke, den Krieger in jedem selbst steht. Inhalte der Lieder, welche auch wieder durch Gesprächparts umrahmt werden, reichen von historischen Begebenheiten über Göttergeschichten bis hin zu Naturmythen und zwischenmenschlichen Themen. Zu viel wollen wir noch nicht verraten, zumal wir großen Wert darauf legen, dass es jeder Hörer für sich selbst interpretieren kann.
Nach den ersten Hördurchläufen von „Es wussten einst die Alten II – Unter Wolfes Banner“ muss ich eines offen zugeben: Es klingt stellenweise ein bisschen schneller und zackiger als es sein Vorgänger war (obwohl ich „schneller“ und „zackiger“ hier sehr relativ meine) und ist ihm dennoch von der Machart so ähnlich, so dass es klingt, als seien beide Alben an einem Abend aufgenommen worden. Nicht, dass Ihr mich falsch versteht: Ich finde das großartig! Mich haben die beiden Scheiben gefesselt und die Geschichte wird sehr atmosphärisch erzählt. Ich hätte es als schade empfunden, wenn der zweite Teil ganz anders als der erste gewesen wäre. Was beide Alben vor allem vereint, das ist, dass sie besonders durch Eure beiden verdammt gut zueinander passenden Stimmen getragen werden. Hut ab, so viel Harmonie findet man selten. Seid Ihr selbst stolz darauf, dass Ihr Euch so gut ergänzt?
Wo der erste Teil mystischer gehalten war, ist „Es wussten einst die Alten II – Unter Wolfes Banner“ kriegerischer. Vom Dichtergott Bragi geht es direkt ans Lagerfeuer eines Kriegertrupps. Und dass die sich nicht in Schreittänzen üben, musste natürlich deutlich gemacht werden (lach). Die Schnelligkeit und die Art der Umsetzung der Lieder entwickelte sich von selbst, eben aus dem Gefühl des Konzeptes heraus. Wir sind stets bemüht von etwas zu singen und nicht nur über etwas. Somit versuchen wir uns immer in den besungenen Moment hineinzuversetzen.
Das Zusammenspiel unserer beider Stimmen entwickelte sich immer weiter, denn anfänglich wollte Horda eigentlich gar nicht singen. Die große Livepräsenz und das regelmäßige üben im Waldtraene-Wohnzimmer stellten ein gutes Training dar. Bisher ist für uns selbst auf jedem Album eine Steigerung, stimmlich sowie musikalisch, zu hören, und das erfüllt uns natürlich mit Stolz. Die Früchte jahrelanger gemeinsamer Arbeit!
Wenn Ihr einen Song schreibt, macht Ihr das gemeinsam? Oder ist das ein „getrennter“ Prozess, bei dem jeder von Euch erst mal für sich tüftelt und einen bzw. seinen Teil zum Ganzen beisteuert?
Das ist ganz unterschiedlich. Wir haben Lieder, die wir von vornherein gemeinsam schreiben. Das sind dann die Momente bei einem guten Tropfen – manchmal reicht schon eine Dose Festivalbier (lach). Genauso gibt es aber auch Stücke, die unabhängig voneinander entstehen. Aber auch hier ergänzen wir uns sehr gut, wenn einer irgendwo nicht weiterkommt. Da kann es sogar vorkommen, dass das Ganze per WhatsApp und Co. geschickt wird, egal wo man gerade ist. Spätestens an der Fertigstellung sind wir aber wieder beide beteiligt, vor allem wenn es um die Melodie bzw. den Einsatz der Instrumente geht.
Ich hatte Euch ja eingangs gefragt, ob Ihr Euch eine erweiterte Bandbesetzung bzw. Gastmusiker vorstellen könntet. Nach dem Hören Eurer beiden Alben muss ich gestehen, dass mir eure Arbeit so schon gefällt und aus meiner Sicht gar nicht durch weitere Instrumente ergänzt werden müsste. Aber wie seht Ihr das? Wohin soll der Weg von Waldtraene aus Eurer Sicht in den nächsten Jahren gehen?
Wir haben für ein weiteres Album – aktuell schreiben wir an insgesamt drei weiteren Werken – den Einsatz von Gastmusikern fest geplant. Wenn unser Plan hinhaut, wird es zu diesem Album nur ein einziges Exklusiv-Konzert geben, mit den erwähnten Gastmusikern natürlich. Wir legen großen Wert darauf, dass das, was auf Platte gebracht wird, auch live von uns realisierbar ist. Deshalb auch nur das eine Exklusiv-Konzert. Ob danach eine weitere Zusammenarbeit in Frage kommt, das wird sich zeigen. Abgeneigt sind wir nicht. Jedoch wird es sich immer um Untermalung des eigentlichen Waldtraene-Stils handeln, also keinesfalls um etwas, was die ganze Musik verändert. Generelle Veränderungen haben schon einige Bands vorgemacht, und das hat uns nicht immer gefallen. Wir möchten uns und unseren Hörern treu bleiben. Daher wird es sicher keine allzu großen stilistischen Veränderungen in den nächsten Jahren geben.
Für die Zukunft wünschen wir uns weiterhin eine gute Mischung an Veranstaltungen: Mittelaltermärkte, Clubkonzerte und Metal-Festivals (hiervon dürfen es gern noch ein paar mehr sein). Ansonsten lassen wir uns von den Fäden überraschen, welche die Nornen für uns weben.
Wenn ich durch „Es wussten einst die Alten II – Unter Wolfes Banner“ so richtig heiß auf Eure Musik geworden bin und nach einem Livekonzert gelüste, wo hätte ich demnächst die Chance Euch auf der Bühne sehen zu können?
Man trifft uns am 26.11.2016 bei unserem Release-Konzert zu „Es wussten einst die Alten II – Unter Wolfes Banner“ im From Hell Club in Erfurt gemeinsam mit Odroerir und einer weiteren Band. Am 10.12.2016 spielen wir mit XIV Dark Centuries im Da Capo in Zella-Mehlis (Achtung: Stark limitiert, Infos gibt’s über den Rüd von den XIV Dark Centuries), am 17.12.2016 sieht man uns in Liebengrün mit XIV Dark Centuries und Odroerir (Infos folgen auf unserer Homepage) und vom 10. bis 11.02.2017 werden wir bei den Frostfeuernächten in Heidesee anzutreffen sein.
Aktuell befinden wir uns in der Bewerbungsphase für 2017/2018. Veranstalter können sich gern bei uns unter info@waldtraene.de melden. Wer interessante Veranstaltungen kennt, der kann diese auch gern via Mail oder Facebook an uns weiterleiten.
Vielen Dank an Euch beide für dieses wahrlich interessante, aufschlussreiche und auch nachdenklich stimmende Gespräch. Es gibt einige Aspekte Eurer Musik, die ich nun aus einem anderen Blickwinkel heraus betrachte. Von daher ist es immer interessant, die Gedanken der Musiker selbst zu ihrem Werk und Schaffen zu erfahren.
Da bekanntlich das Beste zum Schluss kommt, möchten wir allen Hörern und Freunden von uns danken! Wir ziehen nicht zuletzt sehr viel Inspiration aus gemeinsamen Gesprächen und Erlebnissen und wissen den Austausch mit jedem einzelnen sehr zu schätzen – ob oberflächlich oder tiefgründiger Natur. Hierzu ist es wichtig, dass Ihr weiterhin Konzerte besucht, auch die kleineren. Unterstützt Eure regionalen Clubs und somit auch die Bands, schaut Euch auch mal was neues an – manch unbekannte Gruppe weiß wahrlich zu überraschen – und sorgt selbst für das Überleben der Szene!
Wir wünschen uns allen Zeit – Zeit für die schönen Dinge im Leben, auch wenn die sich manchmal zu verstecken scheinen. Zeit für sich selbst – um sich selbst wieder näher zu kommen, sich selbst im Gewirr des Hier und Heute wieder zu finden – zu erahnen wer man eigentlich ist und welche Ziele das Selbst eigentlich verfolgt – vollkommen unverfälscht.
Bleibt wie Ihr seid! Wir bleiben es auch!
Asenheil und Wanensegen!
Webseite:
www.waldtraene.de
(Bilder: © Waldtraene)