Die Reise vom nordwestlichen Sauerland zur ersten Samhain Celebration in Gotha gibt sowohl im milden Herbstsonnenschein wie auch unter mit hellen Wolken verhangenem Himmel dem Klassiker der Bierwerbung Recht: Deutschland ist schön. Bereits im Siegerland hat mich die Wanderlust gepackt, und im Hessischen rätseln wir, wie hoch der Anteil bewaldeter Flächen in Deutschland ist. In der Stadt angekommen, suchen wir zunächst den Proberaum von Farsot auf, der im wahrsten Sinne des Wortes geistreich gelegen ist, in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem Getränkehandel.
Farsot Listening Session
Zu der Gruppe, die ich vor rund 13 Jahren zum ersten Mal auf der von Wald umgebenen Krayenburg-Ruine traf, habe ich einst nicht nur als Fanzine-Schreiber und Talentscout respektvolle Bande geschlossen (Vorsicht also vor Schleichwerbung!). In den vergangenen Jahren jedoch hat sie sich so rar gemacht, dass ich keinen blassen Schimmer hatte, wann und ob wir noch einmal von ihr hören würden. Umso erfreuter war ich also, als mir Bassist v.03/170 im August von den Aufnahmen zum dritten Album berichtete: Sowohl für die Musiker selbst wie auch für die Hörer wäre es wohl überraschend, wie stark die Band sich auf ihre Wurzeln besonnen hätte, so seine vorsichtige Einschätzung damals. Das Endergebnis gibt es heute am frühen Abend zunächst zu hören und dann auch zu sehen, wie Schlagzeuger R 215k freudig verkündet: Auf der Listening Session erlebt das Video zu „The Antagonist“ im kleinen Kreis von Freunden und schreibender Zunft seine Uraufführung. Ob es dem vielsagenden Titel „Faillure“ geschuldet ist, dass bei der Präsentation nicht alles ganz rund läuft, bleibt zu vermuten. Andernorts mag ein Heidenaufwand an „Überzeugungsarbeit“ betrieben werden, um ein Album zu bewerben, Farsot belohnen ihre Gäste und sich selbst mit lokalem Bier und Backwerk aus Schwiegermutterns Küche. Versüßen lässt sich die von Viktor Bullock phantastisch produzierte Scheibe allerdings nicht, denn fürwahr tönen fünf der sechs Songs grimmig, im Fall von „With Obsidian Hands“ sogar nach alter Varg- und Waldschule – bis das Licht uns nimmt?! Während sich draußen die Dämmerung senkt, werden Farsot drinnen nicht müde, den Einsatz des Produzenten und sein musikalisches Feingefühl zu loben. Dass er für jedes Lied neue Einstellungen gewählt hat, verleiht „Faillure“ aller Widerspenstigkeit zum Trotz einen warmen Klang: Der Bass kommt mit viel Freiraum zur Geltung, während die Gitarren bereits im Opener „Vitriolic“ einige Melodien entspannt andeuten dürfen. Für den hierhin und dorthin mäandernden Song wie für das Album gilt: Farsot nehmen ihre Hörer anno 2016 wieder an die Hand, ohne in irgendeiner Weise gefällig zu klingen, allenfalls der das Album beschließende Song „A Hundred To Nothing“ hat etwas Versöhnliches. Mit prägnantem Refrain und eigener Dramatik bietet sich „The Antagonist“ für ein Video an. In dem unheimlichen Streifen trifft ebenfalls die norwegische Schule der Neunziger auf Zeitgenössisches der hinterwäldlerischen Art, denn der Clip verbindet unter Mitwirkung der Musiker die Ästhetik von Gehennas „The Second Spell“ mit dem Thrill von Iron Mountains Ausnahme-Video „Enthralldom“. Ein Beleg dafür, dass stimmungsvolle Musik und Bildwelt nicht neu erfunden werden müssen, um vom Fleck weg zu faszinieren. Prophecy-Kollege Stefan freut sich insofern über die Arbeit, die hier geleistet wurde, denn in Zeiten flüchtiger Aufmerksamkeit und totaler Reizüberflutung dürfte es Farsot mit diesem kleinen Kunstwerk gelingen, das Publikum zumindest für einige Minuten aus dem Alltag zu entführen. Mittlerweile ist auch Sänger 10.XIXt eingetroffen und zu guter Letzt hören wir uns den von Georg Börner (Cold World, Sangre de Muerdago) komponierten Bonus-Track an. Der plättet offenbar jeden der Anwesenden, denn keiner sagt noch einen Ton. Schlagzeuger R 215k hört die Nummer wie wir zum ersten Mal, und ist sichtlich beeindruckt, wie der befreundete Musiker Elemente aus allen Liedern von „Faillure“ in einem massiven Ambient-Stück mit finsteren Drone-Anleihen zu einer Klangreise in eine weite Sternennacht verdichtet hat. Wer als Metal-Kauz bisher mit Ambient gefremdelt hat, der sollte sich diese Nummer mit Kopfhörern des Nachts unter freiem Himmel geben…
Farsot
Fazit: Nachdem mich das zweite Album „Insects“ bis heute eher ratlos stimmt, finde ich an „Faillure“ sofort Gefallen, was angesichts der Rückbesinnung auf die Wurzeln und der hörbar befreit aufspielenden Band kaum verwundert. Die übrigen Anwesenden erleben das offenbar recht ähnlich, und somit macht sich die Band frohen Mutes auf den Weg zum „The Londoner“.
Samhain Celebration
Der englische Pub liegt etwas versteckt und erweist sich beim Betreten als überraschend geräumig und grundsympathisch: Nicht nur das Konterfei von Queen Mum blinzelt uns zu, auch Monty Python grüßen von der Wand. Der Plan, schnell noch etwas Gehaltvolles zu essen, scheitert aufgrund der liebevollen Zubereitung unserer Menüs, so dass wir den Auftritt von Vivus Humare nur aus der Ferne hören, ohne ihm beizuwohnen. Am Nachbartisch feixen Gäste über die Musik, die sie in der Nähe von Metallica einordnen. Nun denn.
Die als Konzertsaal genutzte Halle im hinteren Teil des Hauses ist dem Motto des Abends entsprechend eindrucksvoll hergerichtet und wartet mit allerlei Ernte-Flechtwerk und Herbstlichem auf. Allein dafür hat sich Veranstalter Martin von Falkenstein alias Inkantator Koura ein dickes Kompliment verdient, doch nicht nur Kastanien-Girlanden und Maiskolben-Dekor bieten den etwas anderen Rahmen für Black Metal im weiteren Sinne. Auch an den Handelsständen findet sich neben einem Auszug aus dem Eisenwald-Programm allerhand speziell für diesen Abend (hand)gefertigte Ware. Für 20 Euro ist eine Tragetasche mit dem Emblem der Samhain Celebration erhältlich, darin finden sich eine Kette mit Holzanhänger mit eben jenem Symbol, eine exklusive Musikzusammenstellung der eingeladenen Bands auf Kassette, die Erstausgabe des „Samhain Herald“, Räucherwerk und einige andere Kleinigkeiten wie z. B. einen Download Code von Werian, einer Band aus dem Freundeskreis von Mosaic. Die Mühe, die in all das geflossen ist, steht natürlich in keinem Verhältnis zum (erfreulich gut besuchten) Konzertabend, es sei denn, man ist von vielen guten Geistern verlassen und Dämonen sitzen einem im Nacken. Wer genau dem Inkantator Koura in die Finger gefahren ist, um seinen Gästen im Vorwort des Begleitmagazins einen „heiligen Bund – zäh wie Leder“ anzudienen, weiß ich nicht, doch gerade hier wird deutlich, dass der unbedingte Wille, alles mit Bedeutung aufzuladen, zuweilen des Guten (?) zu viel ist. Mosaic begeistern ja oft mit schönstem Artwork, doch nicht jede ästhetische Zuspitzung der Samhain Celebration gelingt geschmackvoll.
Erik Gärdefors bringt Grift heute Abend allein und mit Akustikgitarre auf die Bühne. Zu Beginn des Konzerts liegt auf seiner Stimme und auch auf dem Saiteninstrument so viel Hall, dass es bald grotesk anmutet. Seiner eindringlichen Bitte um Korrektur wird am Mischpult zwar nach einer Weile entsprochen, der Klang auf der Bühne selbst bietet offenbar jedoch weiter keinen Anlass zur Freude. Ob der junge Schwede seine Stücke grundsätzlich so störrisch und bitter darbieten wollte, weiß ich nicht, doch ohne nähere Kenntnis der Originale scheint mir das nicht abwegig, denn dieses Spröde und Dunkle erinnert manchmal ein wenig an Lönndom und hat etwas sehr Erdiges an sich, das mir spontan gefällt. Unabhängig von den anfänglichen Problemen beim Klang, gebietet es sowohl die Darbietung als auch der Anlass, die Klappe zu halten, doch als Westfale muss ich einmal mehr lernen, dass auch jenseits des Rheinischen die Unsitte des Schwätzens bei Konzerten Einzug gehalten hat. Darüber habe ich mich bereits vor über zehn Jahren auf Tenhi-Konzerten geärgert, und bis heute verstehe ich nicht, warum Menschen, die vergleichsweise ruhiger Musik kein Gehör schenken wollen, nicht einfach den Saal verlassen… Am Ende eines erinnerungswürdigen, aber auch von Schwierigkeiten überschatteten Auftritts dankt Erik dem Veranstalter und entschuldigt sich für Abstriche beim Klang, die er nicht zu verantworten hat. Als ich später im „Samhain Herald“ lese, was der Schwede über seine Musik und deren Wurzeln im Ländlichen erzählt, wird mein positiver Eindruck bestärkt: Das waren raue hypnotische Klänge, die kargem Boden entsprangen.
Erik Gärdefors, Grift
Inkantator Koura wird das Lob für seine mühevolle Organisation und Gestaltung sicher mit Freude vernommen haben, doch kurz darauf sieht er sich selbst einer Herausforderung gegenüber, die er in dieser Form wohl kaum hat absehen können. Der Soundcheck von Mosaic gerät zu einem Offenbarungseid des Mischers, dem der Frontmann so viele Ansagen wiederholt machen muss, dass sich die Frage stellt, wie der anspruchsvolle Konzert-Set mit zwei Programmteilen bloß gelingen soll. Selbst im Gespräch mit heimischen Musikfreunden wird Unmut laut, weil diese zunächst nicht erkennen, was hier noch Soundcheck und was bereits Intro ist. Ob quasi ausgleichender Weise extra viel Räucherwerk zum Einsatz kommt, weiß ich nicht, doch die Taktdichte, mit der ich hier und dort das Wort „Sauna“ vernehme, nimmt zu. Als es schließlich mit dem „Harvest“-Teil losgeht, bei dem Inkantator Koura nur vom Schlagzeuger E.H. unterstützt wird, kreischen nicht nur die Kranken im Spitale, sondern Erleichterung macht sich breit. Endlich… Leider ertönt der beschwörende Vortrag nicht gerade gut verständlich, somit gleicht der Auftritt des verschleierten Kapuzenmanns einem Ringen mit den Geistern, die er rief. Bereits jetzt lässt sich vieles darüber sagen und schreiben, nicht jedoch, dass es sich in irgendeiner Form um Allerwelts-Black-Metal oder –Neofolk handelt. Im zunächst krass hellen Licht flirren silbern glänzende Partikel über der Bühne, was in dieser Ausleuchtung nicht gerade mystisch wirkt – es ist bizarr.
Nach einer kurzen Pause kehren Mosaic als Quartett zurück, um schwarzmetallisch aufzutrumpfen. Freund Stefan zeigt sich insbesondere von der kraftvollen Performanz des Fronters angetan, der mich mit seinem Ausdruck an der Grenze zum Verschrobenen ein ums andere Mal an Ian Anderson (Jethro Tull) in wilderen Tagen erinnert. Die Musiker links und rechts von ihm muten im Zusammenspiel eher wie Statisten an, zudem kommen die Songs meinem Empfinden nach nicht so gelungen zur Entfaltung wie in den Alpen. Vielleicht habe ich nach dem Konzert auf der Neudegg Alm heute Abend einfach zu hohe Erwartungen, doch auch mit der Leidenschaft, die allen voran Inkantator Koura zum Ausdruck bringt, kann mich die Darbietung dieses Mal nicht fesseln, sondern es bleibt bei mir der Eindruck von Stückwerk, das sich nicht zu einem großen Ganzen fügt. Sicher: Nur wer wagt, kann auch gewinnen, und nicht jeder Auftritt kann ein Siegeszug sein, doch gerade angesichts der Monate langen Mühen und des speziellen Programms bleibt ein fader Beigeschmack, denn da wäre mehr drin gewesen. Mosaic bleibt nach alledem für mich kaum greifbar und die proklamierte „Experimental Black Metal Darkness“ hält bis dato Überraschungen unterschiedlichster Natur bereit. Andere wiederum, die zuvor Grift nichts abgewinnen konnten, sind nun begeistert, und der Abwechslungsreichtum steht außer Frage.
Meine Sorgen im Hinblick auf den letzten Soundcheck des Abends erweisen sich als unbegründet, auch wenn Farsot nach ihrem Gig berichten, auf der Bühne selbst nicht allzu viel gehört zu haben. Die Band startet mit „Vitriolic“, dem Opener von „Faillure“, durch und der bis dato unbekannte Song hat an diesem Abend fast etwas von einem Befreiungsschlag. Sänger 10.XIXt habe ich noch nie so stark in der Musik aufgehen und so mitreißend erlebt. Klar, der Großteil des Sets sollte derweil in Fleisch und Blut übergegangen sein, doch selbstverständlich ist die kompakte Erscheinung der Band gerade an diesem Abend keineswegs. Umso erfreulicher und kurzweilig gerät die letzte musikalische Ernte, in der „The Antagonist“ – dem Publikum ebenfalls unbekannt – mit mächtigem Refrain ein Ausrufezeichen setzt, bevor sich die Band ein Mann nach dem anderen mit einem atmosphärischen Ausklang verabschiedet. Und auch für uns heißt es anschließend Abschied nehmen von einigen Freunden, wobei das schale Gefühl, mit manchem kaum ein näheres Wort gewechselt zu haben, heute Abend schwerer wiegt als für gewöhnlich. Nun denn, wenn der Ruf zum Erhalt von Brauchtum und Tradition in mir etwas bewirkt hat, dann den noch nächtens gefassten Entschluss, schon bald einige Briefkästen nach alter Väter Sitte mit Schneckenpost in eherner Metal-Tradition – „send back my stamps!“ – zu füttern.
Inkantator Koura, Mosaic
Fazit: Der Chronistenpflicht sei damit hoffentlich Genüge getan, doch sollte die oben geübte Kritik nicht alleine im Raum stehen bleiben. Wie also lässt sich die Samhain Celebration fortsetzen? Allenfalls städtebauliche Vorschriften dürften gegen Feuertonnen vor der Tür des Pubs sprechen, doch wenn sich in fußläufiger Nähe ein Lagerfeuer einrichten ließe, was spräche dann zur nächsten Jahreswende gegen eine nächtliche Lesung, z. B. der Hörselbergsagen? Hier ergäben sich bestimmt auch wunderbar zu nutzende Anknüpfungspunkte für mythisch inspirierte Black-Metal-Künstler aus nahezu aller Welt. Und auch mag es sich lohnen – die laute Frage Farsots noch im Ohr: „Who am I?“ – mitzunehmen und sich zu fragen: Ja, wer bin ich, oder wer sind wir, die wir uns anmaßen, etwas von Tradition zu erzählen? Und auch wenn die Samhain Celebration in der Vielfalt metallischer Veranstaltungen deutlich näher am „Funkenflug“ als an einer Metal-Kreuzfahrt liegen mag: Wer von uns klebt immer noch Fotos in Alben ein, die er beim traditionellen Umtrunk mit Freunden hervorkramt, und welche zeitgenössischen Dämonen sitzen uns im Nacken, wenn wir uns narzisstisch für die nächsten Veröffentlichungen im Fratzenbuch inszenieren, und selbst in heiligen Nächten der gierige Gedanke auflodert, auch noch diesen und jenen Tonträger in seinen Besitz zu bringen, anstatt auch einfach mal mit dem, was Mensch hat, in Zeiten traditioneller Selbstbesinnung glücklich zu sein? Davon nehme ich mich kein bisschen aus, und wer erst vor kurzem die Sense geschwungen, sein eigenes Bier gebraut, oder ein altes Möbelstück liebevoll restauriert hat, anstatt ein neues zu kaufen, der möge seine Mitmenschen in eben diesen Künsten bilden. Ihr lest also ganz richtig: Trotz kleiner Schwächen war die erste Samhain Celebration ziemlich inspirierend, und ich bin gespannt, wie die Veranstaltung fortgesetzt wird. Ein herzliches Dankeschön an alle, die zu diesem erinnerungswürdigen Abend beigetragen haben!