Manchmal hat man es beim Schreiben von Rezensionen nicht leicht: Da möchte man sich voller Tatendrang in die Arbeit stürzen, sich in den wildesten Umschreibungen verlieren, über seine neueste (in diesem Falle schon leicht betagte) Entdeckung schwadronieren, und was passiert? Man stellt fest, dass einem Steine in den Weg gelegt werden und man auch noch bereitwillig über diese stolpert.1
Als das bereits 2015 erschienene Debütalbum „M“ des Ein-Personen-Projektes Myrkur das Licht der Welt erblickte, wurde es in seiner Gesamtheit bereits von einer Erscheinung überschattet, die man gut und gerne als Hype bezeichnen kann. Meiner allgemeinen Verschlafenheit und der Tatsache, dass ich erst sehr spät dieses Albums gewahr wurde, ist es zu verschulden, dass ich von einem solchen Hype jedoch (zum Glück) nichts mitbekommen habe. Ich persönlich fand es allerdings äußerst erfrischend zu erfahren, dass es sich bei Myrkur um eine echte Seltenheit handelt: Ein weiblich dominiertes Soloprojekt mit Black-Metal-Elementen. Das alleine hätte dem Album bestimmt schon gereicht, um bei seiner Erscheinung für ordentlich Gesprächsstoff zu sorgen. Hinzu kommen allerdings noch die kleinen (in Metal-Kreisen besonders heiß diskutierten) Tatsachen, dass Amalie Bruun – der Kopf hinter dem Projekt Myrkur – ursprünglich aus dem Pop-Genre stammt, Mitglied der mittlerweile aufgelösten Gruppe Ex Cops war, der amerikanischen Reality-Soap „Paradise Hotel“ ihren völlig unmetallischen Titelsong verpasste und bereits für eine bekannte Parfüm-Marke in einem Werbespot vor der Kamera stand. Die Welt besitzt schon ein dezentes Gespür für Ironie, um dieser Kombination ein Black-Metal-Projekt entwachsen zu lassen.
Amalie selbst bezeichnet sich als „A self-confessed black metal girl at heart“2. Und warum auch nicht? Wer bin ich, um hier nicht der Unschuldsvermutung den Vorrang zu gewähren und zu akzeptieren, dass in einer Brust durchaus zwei Herzen schlagen können, die nicht im Widerspruch zueinander stehen müssen? Es dürfte zwar kaum größere Kontraste als Pop und Black Metal geben – wenn ich jedoch das wütende Kreischen von Frau Bruun zu hören bekomme, kann ich nicht anders, als ihr entweder ein unglaubliches, schauspielerisches Talent zu unterstellen oder zu akzeptieren, dass diese Frau weiß, was sie da tut. Fest steht, dass sie auf diesem Album nicht ganz so alleine dasteht wie andere Soloprojekte. Myrkur setzt auf tatkräftige und namenhafte Unerstützung: Teloch von Mayhem haut gelegentlich in die elektrischen Saiten, Øyvind Myrvoll von Nidingr prügelt am Schlagzeug und Christopher Amott von Arch Enemy darf die Heavy-Axt in dem Song „Mordet“ schwingen. Hinzu kommen Instrumente wie Horn, Tuba, Violine, Hardangerfiedel und Íslensk fiðla, die für den folkischen Exoten-Bonus sorgen. Zudem brüstet sich „M“ damit, an verschiedensten Örtlichkeiten von Oslo und Norwegen aufgenommen worden zu sein – darunter in dem bekannten Mausoleum des Künstlers Emanuel Vigeland. Außerdem – und das dürfte Black-Metal-Fans aufhorchen lassen – wird niemand geringeres als Kristoffer Rygg alias Garm (Ulver), als Koproduzent des Albums genannt. Kein Wunder also, dass bei alledem kein ruhiger Start für dieses Album zu erwarten war.
Ich hatte ehrlich gesagt keine Ahnung, auf was ich mich bei Myrkur einlasse und ging im wahrsten Sinne des Wortes völlig unvoreingenommen an diese Band heran. Ich hatte lediglich einen Kommentar gelesen, der von lieblichen Chören in Kombination mit schwarzmetallischer Härte sprach, und musste abermals feststellen, dass ich für solcherlei Schwingungen absolut empfänglich bin. Bereits während der ersten Hörminuten wurde mir klar, dass ein anderer Hörer dieses Werkes auf Bandcamp zwar wahre Worte sprach, indem er Myrkur als Enya auf einem Black-Metal-Trip beschrieb, dabei aber auch ein gutes Stück daneben lag. Myrkur vermischen folkloristiche Elemente mit glasklaren Chören und einem eiskalten Hauch aus düsteren Metal-Gefilden. „Vielmehr ist es eine akustische Reise, zwischen Kälte und Schönheit, die in der Einheit stimmig und verträumt wirkt und überzeugt“, schreibt Chris von Necroslaughter und trifft die Stimmung von „M“ dabei so passend, dass ich nicht umhinkomme, ihn ebenfalls zu zitieren.
„M“ beginnt mit „Skøgen Skulle Dø“ sehr harmlos. Erst ab der Hälfte des Songs erhält man eine Ahnung davon, auf welche Reise man sich hier eingelassen hat. In dem Moment nämlich, in dem die liebliche Stimme von Amalie jäh von einem eiskalten Schrei unterbrochen wird, wechselt der Song hin zu bedrückender Stimmung. Dieser Einstieg präsentiert auch gleich die beiden vorherrschenden Elemente des Albums: Die sakral anmutenden Chorgesänge in Gemeinschaft mit folkigen Instrumenten sowie lieblichem Klavierspiel auf der einen und der kreischende Gesang, der aus einem nebligen Abgrund emporgestiegen zu sein scheint, und die ihn begleitenden, bedrückenden sowie stellenweise verstörenden Melodienbögen auf der anderen Seite. Auch wenn man feststellt, dass der Black Metal sich auf „M“ nicht in den Vordergrund drängt (oder drängen lässt), ist er ein nicht abstreitbarer Bestandteil des Albums. „Echte“, von tiefschwarzen Elementen dominierte Songs sind auf diesem Werk seltener zu finden: „Hævnen“, „Mordet“ oder „Skaði“ wären solche Beispiele vom härteren Schlag. Ganz anders – und im wahrsten Sinne wie aus einer anderen Welt stammend – sind Songs wie „Vølvens Spådom“ oder „Nordlys“, die so lieblich und verletzlich daherkommen und in einem so starken Kontrast zu den härteren Stücken stehen, als hätte man sie aus Versehen von einem anderen Album herüberkopiert. In anderen Songs wird die Myrkur-typische Symbiose perfekt: „Onde Børn“ oder beispielsweise „Dybt I Skoven“ vereinen die beherrschenden Elemente von „M“ schließlich auf nahtlose, man möchte fast meinen revolutionäre Weise miteinander.
Das alles klingt nur auf den ersten Blick wie eine willkürliche Mixtur verschiedener Genres. Die Wirklichkeit zeigt, dass diese Mischung erstaunlich gut funktioniert und in meinen Augen jede Menge Potenzial besitzt. Das im August 2016 erschienene „Unplugged“-Album „Mausoleum“3 von Myrkur, auf welchem einzelne Stücke von „M“ in der besonderen Umgebung des bereits erwähnten Vigeland-Mausoleums neu aufgenommen wurden, unterstreicht zudem eine andere meiner Theorien: Dass Myrkur auf einer großen Bühne schlechter funktionieren wird, als beispielsweise in der Klangwelt einer geräumige Höhle, eines Doms oder eben eines Mausoleums. Diese „Band“ braucht nicht nur live einen Chor, sie braucht auch eine ganz spezielle Umgebung, um ihren vollen Reiz zu entfalten. Natürlich schreibe ich das aus einer sehr bequemen Position mit einer guten Portion Naivität, denn schließlich habe ich Myrkur noch nicht live erleben dürfen. Von daher kann ich mich auch sehr gut irren – wünsche es mir fast. Vor welchem Hintergrund Myrkur auch immer entstanden sind, ist mir relativ egal. Mich beeindruckt das Projekt schon anhand seines Kontrastreichtums, seiner Vielfältigkeit und vor allem durch die Gegensätzlichkeit von Licht und Dunkelheit, die hier weniger in Konkurrenz als vielmehr im Einklang agieren. Es erscheint mir auf der anderen Seiten aber auch logisch, dass sich viele Hörer bei diesem Album vor den Kopf gestoßen fühlen. Denn seien wir mal ehrlich: Manchmal können Metaller auch ganz schön skeptisch sein.
1 Erst bei der tieferen Recherche zu diesem Album stieß ich auf die Diskussionen, die es scheinbar verursacht hat. Ich kam nicht umhin, mich damit und mit den Gründen dahinter näher zu beschäftigen – was meinen Schreibfluss leider kurzzeitig ins Stocken brachte.
2 Siehe Rezension bei Stormbringer
3 Es wäre natürlich aktueller gewesen, über das Album „Mausoleum“ zu rezensieren. Auf diesem Album werden jedoch nur Songs der Vorgängeralben in neuem Gewand präsentiert. Ich wollte daher viel lieber meinen Senf zum eigentlichen Debüt des Projektes abgeben.