Um Zuriaakes „Gu Yan“ wirklich genießen zu können, braucht man vor allem eines: Einen ziemlich langen Atem. Das liegt allerdings nicht daran, dass das Album der drei Chinesen (die völlig ohne Kontrabass auskommen) schlecht oder langweilig wäre. Auch nicht daran, dass es außergewöhnlich lang oder nur für besonders anspruchsvolle Hörer gedacht ist, obwohl man ihm einen gewissen Anspruch mit Sicherheit nicht absprechen kann. Nein, es ist vielmehr so, dass „Gu Yan“ einen fest packt und tief unter die Oberfläche eines düsteren und vor Wut kochenden Meeres zieht – und dort für lange Zeit festhält. Einmal in seinen Bann geraten, fällt es schwer sich der fesselnden Wirkung des Albums zu entziehen, das einem zugleich wenig Zeit zum Luftholen lässt. Beim ersten Hördurchgang kann „Gu Yan“ leicht überladen wirken – je mehr man sich der faszinierenden Mischung aus Black Metal und asiatischer Folklore hingibt, desto mehr gewöhnen sich die Ohren jedoch daran.
Dabei fängt alles so harmlos an: Noch zu Beginn des Albums fühlt man sich in den Soundtrack eines bildgewaltigen Filmwerkes versetzt, um nur wenige Augenblicke später sanften Tönen zu lauschen, die so auch zu einer würdevollen Teezeremonie passen könnten. Ein Zustand, mit dem „Gu Yan“ gezielt zu spielen scheint, denn es sind speziell die klassischen, chinesischen Instrumente in Verbindung mit den epischen, hollywoodesken Soundtrackeinlagen, die für Lichtmomente inmitten der Düsternis des Albums sorgen. Die nicht nur scheinbare Ruhe vor dem Sturm weicht schnell einem brachialen, von Chören und dem obligatorischen Gekreische und Gefauche durchzogenen Klanggewitter. Es sind gerade die auf den ersten Blick schwer verdaulichen Kontraste mit ihrer urgewaltigen Dynamik, die ich an der Musik „härterer Gangart“ liebe. Hier – allgemein und speziell bei Zuriaake – werden keine halben Sachen gemacht. Doch Vorsicht: Unter der Oberfläche von „Gu Yan“ lauert auch eine kleine Portion asiatischer Kitsch, der sich trotz allem hervorragend harmonisch in das Gesamtwerk einfügt. Also doch nicht so kitschig? Na ja, das kommt ganz darauf an – manche Stelle des Albums wirkt allerdings ein bisschen so, als wäre sie einem für europäische Gemüter ab und an etwas überdreht wirkenden Wuxia-Films entnommen.
Eigentlich hätte ich noch gerne davon erzählt, wovon „Gu Yan“ handelt, z. B. dass die Musik und ihr Kontrastreichtum, die kalte Härte des Black Metal und die sanftmütige Wärme klassisch-asiatischer Instrumente, sowie die Struktur und der Aufbau der einzelnen Songs sich perfekt in ein Gefüge aus chinesischer Mystik und Geschichten von gigantischen Schlachten einfügen. Rein vom gehörten Kopfkino ist dem so. Leider kann ich zum Inhalt der Songs oder dem Thema des Albums nicht im Geringsten auch nur eine Kleinigkeit sagen – und das trotz einer Recherche in den Tiefen des Netzes*. Zum Glück reicht (wie so oft) die eigene Imagination völlig aus, um in die gebotenen Klangwelten einzutauchen. Zum Reinhören reicht es allerdings völlig aus, wenn man erst einmal an der Oberfläche kratzt: Allein das fast einundzwanzigminütige vierte Stück des Albums „梦邀 ( 广寒 / 仙游 / 南柯 )“ ist vollgestopft mit allem, was „Gu Yan“ ausmacht (und hätte schon für sich alleine ein kleines Album sein können). Als Einstieg in das Schaffen von Zuriaake allemal ein guter Tipp.
* Wenn hier jemand Lust und die Fähigkeit besitzt dem Abhilfe zu schaffen, freue ich mich natürlich immer über Feedback unter meiner Waldhalla-Mail-Adresse: olli@waldhalla.com